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Schach und Urheberrecht – eine verlorene Partie?

Der IGE-Blog berichtete zuletzt am 26. November zur Schach-WM in Singapur und nahm sie zum Anlass, Schach-Erfindungen zu thematisieren. Der 18-jährige Inder Dommaraju Gukesh hat sich zwischenzeitlich zum jüngsten Schach-Weltmeister der Geschichte gekrönt. Eine Partie scheint aus Sicht des Geistigen Eigentums noch nicht ganz abgeschlossen, wobei sie vor allem die ersten Weltschachmeister umtrieb: Es geht um das Urheberrecht an Schachpartien.

Parallelen zwischen Schachspiel und Kunst: So argumentierte ein deutscher Weltmeister für den urheberrechtlichen Schutz. Illustration: Franziska Raaflaub

Vorläufer des Schachs fanden bereits im Frühmittelalter den Weg aus Indien nach Europa. In Byzanz zogen Figuren ihre Kreise im 10. Jahrhundert über das Rundschachbrett. Das «Schachgedicht zu Einsiedeln», das dem Spiel 98 Verse widmet, entstand zwischen 900 und 950 nach Christus [1] Zar Iwan «der Schreckliche» starb 1584 beim Schachspiel. Napoleon spielte – soweit es sein von Welteroberungsplänen besetzter Terminkalender zuliess – gerne Schach. 1942 erschien Stefan Zweigs «Schachnovelle», 1998 Friedrich Dürrenmatts «Schachspieler» und 2020 wurde der Netflix-Hit «The Queen’s Gambit» zur Droge gegen den Isolations-Blues.

 

Schach beeinflusst seit Jahrhunderten die Kultur und die Kunst. Wie steht es aber um seinen rechtlichen Schutz?

 

Man liest oder hört oft, dass kein Spiel so eng mit der Kunst verbunden sei wie Schach.[2] Wenn man über einen rechtlichen Schutz des Spiels nachdenkt, liegt es aufgrund dieses Kunstbezugs nahe, im Urheberrecht anzusetzen. Dieses schützt Werke, also «geistige Schöpfungen der Literatur und Kunst, die individuellen Charakter haben» (Art. 2 Abs. 1 URG). Warum käme man aber auf die Idee, hier etwas schützen zu wollen? Sind Schachpartien kein Gemeingut?

 

Schachweltmeister kämpft für Urheberrecht an Schachpartieren

Einer, der hartnäckig für ein Urheberrecht an Schachpartien gekämpft hat, war der deutsche Schachweltmeister Emanuel Lasker [3]. In seiner Begründung berief er sich auf die Parallelen zwischen dem Schachspiel und der Kunst: «Ich war willens, der Schachwelt meine Kunst und mein Denken zu geben und dadurch die Schachwelt zu unterhalten und das Spiel zu fördern, aber ich verlangte, dass sie dafür eine Verantwortung auf sich nehme und erfülle […] Freilich argumentiert sie [die Schachwelt], dass das Schachspiel nicht zum Berufe tauge. Die Millionen Schachfreunde aber, die veröffentlichte Meisterpartien nachspielen und sich an ihnen bilden und erfreuen, sollten diesen Standpunkt nicht stützen. Mit ähnlichen Argumenten könnte die musikalische Welt den beruflichen Musikern von Talent das Brot entziehen, was doch offenbar eine Ungerechtigkeit wäre. Nur Leute, die sich einer Sache ganz und gar widmen, bringen darin etwas Großes zuwege» [4]. Lasker stammte aus eher armen Verhältnissen und durchlebte viele entbehrungsreiche Zeiten. Auch sein Vorgänger, der erste Schachweltmeister Wilhelm Steinitz konnte Zeitlebens keinen Gewinn aus seiner Tätigkeit schlagen und starb völlig verarmt.

 
 

Individueller Charakter? Unterschiede zur Musik

Emanuel Lasker wollte (sich) über den urheberrechtlichen Schutz an Schachpartien eine Verdienstmöglichkeit schaffen. Unter anderem sollten diejenigen, die Partien in Zeitungen oder Büchern veröffentlichen, den Schachspielern eine Vergütung bezahlen und so dafür sorgen, dass die Meister im Alter «nicht mehr in Hospitälern einsam sterben» [5]. Rechtsanwalt Walter Jung nahm sich 1931 dem Thema in seiner Dissertation «Gibt es ein Urheberrecht am Schachspiel?» [6] an. Er kam zum Schluss, dass es der Schachpartie am individuellen Charakter fehlt, der für die Begründung eines Urheberrechts vorausgesetzt wird. Anders als etwa in der Musik, wo verschiedene Gestaltungsmittel zur Verfügung stünden, könne sich der Schachspieler nur über Züge ausdrücken. Zudem richte sich die Absicht des Schachspielers nicht auf eine bestimmte Gestaltung der Abfolge der Züge, sondern auf den Gewinn der Partie.

 

Entsprechend müsse eine Darstellung des Verlaufs einer Schachpartie, die bloss die Angabe der geschehenen Züge enthalte, jedermann ebenso freistehen, wie es auch gestattet sei, anderweitige rein tatsächliche Geschehnisse mitzuteilen. [7] Das Rechtsgutachten des Deutschen Schachbunds [8] (1994) kommt ebenfalls zum Schluss, dass eine Schachpartie weder zur Literatur, noch zur Wissenschaft, noch zur Kunst gehöre und illustriert anhand von mehreren Fallkonstellationen, weshalb sich der Schutz des geistigen Eigentums nur schwer umsetzen liesse. Die Fälle [9] werfen etwa die Frage auf, ob der unterlegene Spieler auch einen Anteil an einem allfälligen geistigen Werk hätte, da er durch seine Fehler erst eine «kunstvolle» Kombination ermöglicht.

 

Wiederkehrende Diskussion um Schutz von Spielzügen

Seit Emanuel Lasker hat sich – wenigstens an der Schachspitze – in finanzieller Hinsicht Einiges getan. Das Vermögen des 17-fachen Schachweltmeisters Magnus Carlsen wird zwischen 10 und 30 Millionen US-Dollar geschätzt. Allein 2023 gewann er mehr als 700'000 US-Dollar Preisgeld. [10] Die Diskussion um die urheberrechtliche Schutzfähigkeit von Schachpartien in der Rechtswissenschaft ist indes nicht verstummt. 2016 befasste sich das Gericht des Southern District of New York unter anderem mit der Frage, ob einzelne Züge einer Schachpartie dem urheberrechtlichen Schutz unterliegen. [11] Es verneinte diesen, indem es die Züge mit Spielständen und Spielereignissen im Basketball verglich, die als Fakten nicht schutzfähig seien. [12] 2019 nahm sich Rechtsanwalt Daniel Hoppe dem Thema in einem Zeitschriftenbeitrag an [13] und kritisierte diesen Ansatz. Er wies darauf hin, dass die Mitteilung der Züge nicht der Mitteilung eines Zwischenstands gleichkomme, sondern vielmehr die Übertragung des Ereignisses selbst bilde. [14] Dem Gutachten des Deutschen Schachbundes hält er entgegen, dass die Mitwirkung beider Parteien am Spiel ähnlich verknüpft sei wie bei der Improvisation mehrerer im Theater- oder Musikbereich: «Das Werk entsteht im Miteinander und Gegeneinander, während die Partie gespielt wird» [15].

 
 

Das Schachspiel als geschütztes Improvisationstheater? Welche Auswirkungen hätte dies auf Mitwirkende und Übertragende? Den am Schachspiel beteiligten Parteien wäre wohl kaum zuzumuten, in eine urheberrechtliche Prüfung einzutreten, bevor sie eine Partie übernehmen oder anpassen. Medien und Portale, die Schachpartien übertragen, müssten erkennen, in welchem Moment «die Partie in das Stadium eines selbständigen urheberrechtlich geschützten Werks» [16] eintritt und die Übertragung einstellen – oder im Vorfeld Verträge mit den Parteien schliessen, um sich die entsprechenden Verwertungsrechte einräumen zu lassen. Allerdings ist in den Niederlanden ein kollektives Vergütungsmodell in den 1960er und 70er-Jahren gescheitert. [17]

 

Fazit

Die Frage, ob Schachpartien urheberrechtlich geschützt sind, lässt sich – aufgrund der spärlich vorhandenen Rechtsprechung und der wenigen Quellen – nicht abschliessend beantworten. Trotzdem illustriert sie den dem Urheberrecht zugrundeliegenden Interessenausgleich. Zu berücksichtigen wären insbesondere das Interesse des Schachspielers oder der Schachspielerin, eine Verdienstmöglichkeit aus dem eigenen «Schaffen» hervorzubringen und das Interesse der Allgemeinheit an einer freien Nutzung der Partie, die zum Bestandteil der Kultur und vielleicht auch der Kunst wird.

 

Zur Autorin: Franziska Raaflaub ist Juristin am IGE und spezialisiert auf Urheberrecht.

 

Quellenangaben

[1] Santschi Stephan, Mysteriöses Gedicht aus dem Klosterkeller, in: Nidwaldner Zeitung vom 28. Mai 2017, abrufbar unter: Nidwaldnerzeitung.ch (Stand: 13.11.2024).

[2] Siehe statt Vieler: Trebing Saskia, Schach und Kunst, Die Schönheit des Spiels, in: monopol, Magazin für Kunst und Leben vom 22. März 2018, abrufbar unter: Monopol-Magazin.de

(Stand: 23.10.2024); vgl. auch das Zitat der mehrfachen Schweizermeisterin im Schach Lena Georgescu «Schach ist wie Kunst machen», SRF Focus vom 27. November 2023, abrufbar unter: srf.ch

(Stand: 13.11.2024).

[3] Er verteidigte gemäss dem Wikipedia-Eintrag zu seiner Person diese Position über 27 Jahre (1894 – 1921) und war damit der am längsten amtierende Schachweltmeister. Abrufbar unter: Wikipedia

(Stand: 13.11.2024).

[4] Lasker Emanuel, Mein Wettkampf mit Capablanca, Berlin und Leipzig 1926, S. 2, zitiert nach Karlonline.org (Stand: 23.10.2024).

[5] Lasker Emanuel, in: Der Schachwart – Organ der Berliner Schachgesellschaft Nr. 1 Bd. 2, Berlin 1913, S. 10.

[6] Jung Walter, Gibt es ein Urheberrecht am Schachspiel?, Erlangen/Kulmbach 1931.

[7] Zusammenfassung basierend auf dem Rechtsgutachten des Deutschen Schachbunds zur Frage «Gibt es ein Urheberrecht an Schachpartien», vorgelegt durch Wolfgang Unzicker, Hannover-Laatzen, 1994, S. 1, abrufbar unter: Google (Stand: 13.11.2024).

[8] a.a.O. Fn. 7, S. 7.

[9] a.a.O. Fn. 7, S. 3.

[10] Angaben gemäss FOCUS online, abrufbar unter: Focus.de (Stand: 13.11.2024).

[11] Southern District Court of New York, World Chess US, Inc. And World Chess Events Ltd., vs. Chessgames Services LLC, E-Learning Ltd., and logical thinking LTD., Urteil 16 Civ. 8629, abrufbar unter: Scribd.com (Stand: 13.11.2024).

[12] «Indeed, it is well-established that sports scores and events, like players’ moves in the Championship, are facts not protectable by copyright».

[13] Hoppe Daniel, Zwischen Glanzpartie und Großmeisterremis: Gedanken zum urheberrechtlichen Schutz von Schachpartien, in: GRUR-Prax 2019, S. 522 ff.

[14] a.a.O. Fn. 13, S. 523.

[15] a.a.O. Fn. 13, S. 524.

[16] a.a.O. Fn. 13, S. 524.

[17] Vgl. Wolfgang Unzicker, Fn. 7, S. 2.

 

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