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«Eine falsch klassierte Marke kann auch falsch verstanden werden»

Anmelderinnen und Anmelder von Marken müssen wählen, für welche Waren und Dienstleistungen sie die Marke schützen lassen wollen. Und dazu die sogenannte Nizza-Klassifikation anwenden. Das ist nicht immer eine leichte, immer aber eine bedeutende Aufgabe: Beeinflusst sie doch den Schutzumfang und auch das Konfliktpotenzial mit anderen Marken. Wir haben Markenexperte Peter Benninger befragt, um das System und seine Feinheiten besser zu verstehen und seine Tipps für Markenanmelder zu erfahren.

Peter Benninger
 

Peter Benninger ist seit mehr als 25 Jahren Markenprüfer im IGE. Er vertritt das IGE seit rund 20 Jahren im Experten-Komitee der Nizza-Klassifikation und ist damit Fachmann für alle Fragen rund um die Klassierung von Waren und Dienstleistungen.

 

Peter Benninger: Die Klassifikation der Waren und Dienstleistungen erfolgt nach der sogenannten Nizza-Klassifikation. Worum geht es bei der Nizza-Klassifikation?

In allen Ländern, die einen Markenschutz kennen, muss bei der Hinterlegung einer Marke bestimmt werden, für welche Waren und/oder Dienstleistungen der Markenschutz gelten soll. Ziel des 1957 in Nizza beschlossenen Abkommens ist es, dass Waren und Dienstleistungen in allen Mitgliedsländern nach den gleichen Kriterien klassiert werden. Dies erleichtert zum einen die Ausdehnung des Markenschutzes auf andere Länder gemäss dem Abkommen von Madrid – und heute sind zum Glück die meisten Länder beim Abkommen dabei. Zum anderen erleichtert es international die Recherche nach verwechselbaren Marken. So kann man die Suche in den Markendatenbanken auf die Klassen beschränken, die potenziell zu Konflikten führen könnten; denn identische oder ähnliche Marken für ganz andere Waren und Dienstleistungen sind ja in der Regel kein Problem.

 

Erkläre uns das System bitte etwas genauer.

In der Nizza-Klassifikation sind alle Waren und Dienstleistungen in 45 Klassen eingeteilt, sogenannte WDL-Klassen. Es gibt 34 Warenklassen und 11 Dienstleistungsklassen. Jede Klasse enthält eine aus Oberbegriffen bestehende Klassenüberschrift.

 

Die Klasse 25 trägt z. B. die Überschrift «Bekleidungsstücke, Schuhwaren, Kopfbedeckungen». Die Bemerkungen zu dieser Klasse, die z. B. über die Datenbank der Weltorganisation für Geistiges Eigentum (WIPO) zugänglich sind, geben Auskunft darüber, was diese Klasse beinhaltet. So gehören z. B. auch «Beinwärmer» oder «Frisierumhänge» in diese Klasse. «Kleider für Tiere» oder «elektronisch aufheizbare Fäustlinge» müssten aber in anderen Klassen klassiert werden.

 
 

Wie ist das genau mit den Oberbegriffen der Klassenüberschriften. Kann ich als Anmelderin einfach alle Oberbegriffe einer Klasse wählen? Bietet mir das mehr Schutz als Unterbegriffe?

Dies ist eine taktische Frage, für die man sich am besten an einen Markenberater wendet.

 

Generell gilt jedoch: Mit einem Oberbegriff wie z. B. «Bekleidung» ist der Schutz breiter als mit einem spezifischen Begriff wie z. B. «T-Shirts». Man hat damit direkt viel abgedeckt und läuft weniger Gefahr, etwas zu vergessen. Wenn jemand also Bekleidung jeder Art anbietet oder anzubieten gedenkt, wählt er besser den Oberbegriff. Sollte es zu Konflikten mit anderen Marken kommen, können die beanspruchten Waren und Dienstleistungen jederzeit präzisiert oder eingeschränkt werden. Viele Streitfälle werden so gelöst.

 

Bei einem breiteren Schutz wird aber auch die «Angriffsfläche» grösser, weil vielleicht jemand anderes in einem Teilgebiet etwas Gleiches oder Ähnliches anbietet. Lässt du z. B. eine neue Marke für «Bekleidung» eintragen, so würde ein Inhaber einer älteren, ähnlichen Marke, die für Unterwäsche beansprucht wird, vielleicht Widerspruch einreichen. Wenn du aber den Schutz spezifisch nur für T-Shirts beanspruchst, verzichtet er vielleicht darauf. Ferner gibt es verschiedene Länder wie z. B. die USA, die Oberbegriffe nicht akzeptieren. Dies kann bei einer Ausdehnung des Schutzes auf das Ausland eine Rolle spielen.

 

Wichtig zu wissen ist ausserdem, dass jede Klasse auch Waren und Dienstleistungen enthält, die den Oberbegriffen nicht zugeordnet werden können. Der Klassentitel der Klasse 15 z. B. lautet «Musikinstrumente; Notenständer und Ständer für Musikinstrumente; Taktstöcke». «Bogenhaare für Saiteninstrumente» oder «Blasebälge für Musikinstrumente» würden durch die Oberbegriffe z. B. nicht abgedeckt. Will man auch die Bogenhaare geschützt haben, müssen diese bei der Anmeldung zusätzlich zu den Oberbegriffen explizit angegeben werden.

 

Muss ein Unternehmen die Marke nur für die angebotenen Waren oder Dienstleistungen selbst schützen, oder auch für alles, was sonst noch dazugehört, wie z. B. die Warenverpackung oder die Website des Unternehmens?

Wenn jemand Waren herstellt und verkauft, reicht es, die hergestellten Waren in der entsprechenden Warenklasse zu nennen. Alles andere, wie z. B. bei einem Süsswarenhersteller das Papier um die Bonbons, die Verpackung oder die Website, auf der die Süssigkeiten beworben werden, sind Hilfswaren oder Tätigkeiten (keine Dienstleistungen!), die für Herstellung und Vertrieb nötig sind. Ist aber die Verpackung sehr eng mit der Ware verbunden, kann es sinnvoll sein, auch die Verpackung zu schützen.

 

Welches sind die häufigsten Fehler bei der Erstellung der Waren- und Dienstleistungslisten?

Am häufigsten sind unklare Formulierungen. Manchmal ist die Ursache eine schlecht übersetzte Originalliste, z. B., wenn sie jemand auf Englisch erstellt hat und bei der Anmeldung mit einem Online-Tool ins Deutsche übersetzt. Teils ist es schlichtweg eine schlechte Anwendung der Sprache. Bei solchen Unklarheiten beanstanden wir das Gesuch. Innerhalb von zwei Monaten kann die Anmelderin die Waren- und Dienstleistungsliste anpassen.

 

Hast du ein Beispiel für unklare Formulierungen?

Z. B. «Klasse 42, Bereitstellung einer Website (Software)». Was ist gemeint mit Bereitstellung? Wird Software auf einer Website bereitgestellt oder wird über eine Website mittels einer Software eine bestimmte Dienstleistung erbracht? Diese Formulierung ist unverständlich. Stattdessen müsste angegeben werden, welche Dienstleistungen (über die Website) angeboten werden, z. B. «Online-Versicherungsberatung».

 

Häufig sind auch Präzisierungsversuche mit «insbesondere», also z. B. «Elektrische Apparate, insbesondere Rasierer». Gemäss unserer Praxis kann aber ein Begriff wie «elektrische Apparate», der zu vage für die Klassierung ist, nicht auf diese Weise präzisiert werden. Der zuvor stehende vage Begriff bleibt auch mit einer nicht abschliessenden Aufzählung unklar. Der Anmelder müsste die Apparate stattdessen so weit präzisieren, dass sie klassiert werden können. Z. B., indem er «elektrische Apparate» durch «elektrische Zahnbürsten und elektrische Rasierer» ersetzt. Ist die Marke nur für Rasierer bestimmt, müsste statt «insbesondere» «nämlich» verwendet werden.

 

Was geschieht, wenn Waren oder Dienstleistungen falsch klassiert worden sind?

Die Klassierung hat nur administrativen Charakter. D. h., dass man z. B. in einem Widerspruch im Prinzip den gleichen Schutz geniesst, ob nun richtig klassiert oder falsch. Aber Achtung: Begriffe mit einer Doppelbedeutung bilden eine Ausnahme. Bei diesen präzisiert die Klasse den Begriff. Wenn jemand z. B. den Schutz für «Federn» in Klasse 6 beansprucht hat, ist die Marke für Federn im Sinn einer Kleineisenware geschützt; und nicht für Schreibfedern (Klasse 16) oder für Federn als Polsterfüllmaterial (Klasse 22) – auch wenn der Anmelder eigentlich Schreibfedern schützen lassen wollte.

 

Richtig zu klassieren liegt grundsätzlich in der Verantwortung des Anmelders. Klassiert er falsch, muss er in Kauf nehmen, dass die Bezeichnung anders verstanden wird als gedacht. Oder dass eine Mitbewerberin seine Marke bei einer Markenrecherche nicht findet, da die meisten Recherchedienste grundsätzlich nur nach Klassennummern suchen. Umgekehrt wird auch er, wenn er nach der Eintragung eine «falsche Klasse» überwacht, nicht auf neue, ähnliche Marken aufmerksam und könnte es deshalb verpassen, einen Widerspruch einzureichen.

 
 

Wie geht ein Unternehmen bei der Wahl der Waren und Dienstleistungen am Besten vor?

Bevor es eine Marke hinterlegt, sollte es sich genau überlegen, für welche Waren und/oder Dienstleistungen es überhaupt Schutz beanspruchten möchte. Dazu gehört auch ein Blick voraus: Will das Unternehmen sein Angebot in absehbarer Zeit erweitern, kann es die geplanten Waren und Dienstleistungen bereits bei der Anmeldung im Waren- und Dienstleistungsverzeichnis erfassen – auch wenn das Zeichen nicht umgehend für alle beanspruchten Waren oder Dienstleistungen gebraucht wird. Denn nach der Eintragung kann das Verzeichnis nicht mehr erweitert werden.

 

Es geht aber nicht darum, von Beginn weg möglichst viele Waren und Dienstleistungen zu schützen. Nicht nur wegen der anfallenden Kosten. Eine Marke muss innerhalb von fünf Jahren nach der Eintragung für die beanspruchten Waren und Dienstleistungen auch wirklich gebraucht werden. Andernfalls erlöscht im Prinzip der Schutzanspruch für die nicht gehandelten Waren oder die nicht erbrachten Dienstleistungen.

 

Was macht man somit, wenn man später neue Waren oder Dienstleistungen in das Sortiment aufnimmt und die Marke auch für diese schützen will?

Dann muss für die neuen Waren oder Dienstleistungen eine neue Marke angemeldet werden. Wir empfehlen in diesem Fall, mit einer Recherche zu klären, ob für ähnliche Waren oder Dienstleistungen bereits eine ähnliche Marke eingetragen ist.

 

Hast du weitere Tipps für die Bestimmung der Waren- und Dienstleistungsklassen?

Wenn man nicht weiss, wie anfangen, kann sich ein Blick auf die von Mitbewerbern beanspruchten Waren und/oder Dienstleistungen auf www.swissreg.ch lohnen. Das gibt einem eine Idee und kann für das Erstellen des eigenen Verzeichnisses helfen. Da die Klasseneinteilungen einzelner Waren und Dienstleistungen über die Jahre aber ändern können, sollte man deren Klassenzugehörigkeit noch überprüfen.

 

Die Waren und Dienstleistungen müssen schliesslich präzise und eindeutig genannt werden. Unklare Begriffe können den Schutzumfang beeinträchtigen. In unserer Klassifikationshilfe unter wdl.ige.ch können Begriffe auf Konformität überprüft und nach allen zulässigen Waren- und Dienstleistungsbegriffen gesucht werden. Auch bei der Anmeldung über e-trademark stehen diese Klassen zur Verfügung. Übernehmen die Anmelderinnen und Anmelder diese Begriffe, stehen die Chancen gut, dass die Anmeldung schneller, d. h. durch die vorgezogene Prüfung geht.

 

Was lässt sich zu den Top-5 der am meisten angemeldeten WDL-Klassen sagen?

2023 waren die Top-5 der am meisten angemeldeten WDL-Klassen: Klasse 35 (u. a. Werbung, Geschäftsführung), gefolgt von Klasse 9 (u. a. CDs, Computer), Klasse 42 (u. a wissenschaftliche und technologische Dienstleistungen), Klasse 41 (u. a. Erziehung, Ausbildung, Unterhaltung) und 36 (Finanz-, Versicherungs- und Immobiliendienstleistungen).

 

Zumindest in Klasse 35 muss man sich fragen, ob diese Dienstleistungen zu Recht beansprucht worden sind – oder ob die Klasse falsch verstanden worden ist. Wie bereits erwähnt: Wer nur Werbung in eigener Sache betreibt, erbringt keine Dienstleistungen im Bereich Werbung und muss dies folglich auch nicht beanspruchen.

 

Es lässt sich aber auch herauslesen, dass die Schweiz ein innovatives Land (Anmeldungen in Klassen 9 und 42) und ein Finanzplatz (Klasse 36) ist und sich die Leute, um die dafür nötigen Qualifikationen zu erreichen, viel weiterbilden, aber dabei auch die Unterhaltung nicht auf der Strecke bleibt (Klasse 41).

 
 

Seit einiger Zeit werden Marken auch für virtuelle Waren geschützt, die z. B. im Metaverse angeboten werden. Welches sind die Anfang 2024 in Kraft getretenen Änderungen diesbezüglich?

Vorher konnten virtuelle Waren gar nicht als eigenständige Waren beansprucht werden. Jetzt können sie in Klasse 9 (analog zu herunterladbaren Medien) geschützt werden. Die virtuell dargestellten Waren müssen aber explizit genannt werden, z. B. «herunterladbare virtuelle Bekleidung» oder «virtuelle Uhren».

 

Die Nizza-Klassifikation wird jährlich aktualisiert und von der WIPO alle drei Jahre in einer revidierten Auflage neu herausgegeben. Was heisst das für jene, die ihre Marke in Klassen geschützt haben, die von Änderungen betroffen sind?

Wir klassieren bereits angemeldete oder eingetragene Marken nicht um. Bei Veränderungen müssen Markeninhaber vor allem das Monitoring anpassen, damit weiterhin alle gewünschten Waren und Dienstleistungen in den entsprechenden Klassen überwacht werden.

 

Zu guter Letzt: Wer hilft mir, wenn ich beim Erstellen des Waren- und Dienstleistungsverzeichnisses Hilfe brauche?

Wenn es um eine Beratung geht und die Frage, welche Waren und Dienstleistung ein Unternehmen sinnvollerweise schützen lassen soll, helfen Markenberaterinnen und Markenberater weiter. Auch wenn es um den Schutz in Ländern wie z. B. den USA geht, die neben der Nizza-Klassifikation noch ein eigenes System verwenden, würde ich mich an Spezialisten wenden.

 

Wir helfen gerne bei Fragen zur richtigen Klassierung. Unter der Nummer 031/377 77 77 geben wir gerne telefonisch Auskunft, Fragen zu den WDL-Klassen können ausserdem an wdlnot shown@ipito make life hard for spam bots.ch geschickt werden.

 

Vielen Dank für das aufschlussreiche Gespräch Peter!

  

Die Nizza-Klassifikation

Marken können nicht generell, sondern nur für bestimmte Waren und Dienstleistungen geschützt werden. Bei der Markenanmeldung müssen die Anmelderinnen und Anmelder deshalb angeben, für welche Waren und Dienstleistungen sie die Marke eintragen wollen.

 

Dazu steht die «internationale Klassifikation von Waren und Dienstleistungen nach dem Abkommen von Nizza» (sog. Nizza-Klassifikation) zur Verfügung. In diesem in fast allen Ländern angewendeten System sind alle Waren und Dienstleistungen in 45 Klassen eingeteilt: in 34 Warenklassen und in 11 Dienstleistungsklassen. Bei der Anmeldung müssen zum einen die richtigen Klassen gewählt und zum anderen die Waren und/oder Dienstleistungen präzise bezeichnet werden.

 

Verwaltet wird die Nizza-Klassifikation von der Weltorganisation für Geistiges Eigentum (WIPO) in Genf.

 

Weitere Informationen zum Waren- und Dienstleistungsverzeichnis.

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