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Welchen Einfluss hat künstliche Intelligenz auf das literarische Schreiben?

Inzwischen gibt es viele Autorinnen und Autoren, die KI bei ihrer Arbeit einsetzen. Plattformen wie Amazon beeinflussen diese Entwicklung stark. Michaela Nicolosi Hüsler erlebt die Umwälzungen unmittelbar mit.

Michaela Nicolosi Hüsler
Bild: IGE
 

Wo und wie setzen Schriftstellerinnen und Schriftsteller heute künstliche Intelligenz ein?

Michaela Nicolosi Hüsler: KI wird ganz unterschiedlich eingesetzt. Manche verwenden sie für die Planung ihrer Romane und Entwicklung ihrer Figuren, andere sogar für das Schreiben selber. Auf den ersten Blick bietet KI rasche Lösungen für viele Probleme, mit denen Autoren und Autorinnen konfrontiert sind. Zum Beispiel der berüchtigte «Writer’s Block», wenn der Gedankenfluss stockt und es mit der Geschichte partout nicht weitergehen will. Man fragt einfach die KI und sie findet mögliche Lösungen. Es wird überflüssig, die Kunst des Schreibens zu erlernen, denn die KI kann doch alle Lücken füllen. Am liebsten soll sie gleich das ganze Buch schreiben.

 

Dazu kommt, dass grosse Verkaufsplattformen ihre Algorithmen so eingestellt haben, dass Bücher nach drei Monaten fast nicht mehr angezeigt werden. Um nicht in Vergessenheit zu geraten, braucht es so schnell wie möglich ein neues Buch oder man muss viel Geld in Werbung auf diesen Plattformen investieren. Ohne KI kann man einen solchen Produktionsrhythmus kaum einhalten.

 

Die Sache hat aber einen Haken: Das Menschliche, sozusagen das Herz eines Romans, die persönliche Lebenserfahrung der schreibenden Person, die immer in ein Buch einfliesst, ist nicht mehr da. Und ein Buch ohne Herz überlebt genauso lang wie ein Körper ohne Herz. Man kann mit solchen Büchern das Publikum zwar unterhalten, wird aber nie das Leben anderer Menschen berühren oder sogar verändern können, weil die Verbindung von Mensch zu Mensch fehlt.

 

Ist es aus Ihrer Sicht für Schriftsteller und Schriftstellerinnen ratsam, mit KI zu arbeiten?

Es hängt davon ab, was man mit den eigenen Büchern erreichen möchte. Kreatives Schreiben hat zwei Zwecke: Unterhaltung und innere Bereicherung. Wenn man sich mit dem ersten zufriedengibt, dann kann man gut mit KI arbeiten. Wenn man das zweite oder besser beides erreichen möchte, kann KI nur wenig helfen. Auf jeden Fall befreit KI die Autoren und Autorinnen nicht davon, die Kunst des kreativen Schreibens beherrschen zu müssen. Nur so können sie den Output der KI korrigieren und zurechtbiegen. Wenn man keine Ahnung davon hat, wie man Leser und Leserinnen verführt, und denkt, dass die KI dies übernehmen kann, wird man als Schriftsteller oder Schriftstellerin nicht sehr weit kommen. Der Wettbewerb ist zu gross, die Leserschaft zu wählerisch.

 

Es gibt jedoch einen Bereich, in dem ich meinen Klienten und Klientinnen empfehle, KI-Tools zu benutzen, nämlich alles, was Werbetexte betrifft. Buchbeschreibungen für die Online-Stores oder Social Media Posts macht die KI sehr gut, sogar besser als die Autoren und Autorinnen selbst, die häufig sehr ungern Werbetexte schreiben.

 

Der Markt wird bereits von KI-generierter Literatur überschwemmt. Wie schaffen es Autoren und Autorinnen, sich in diesem Umfeld zu behaupten?

Es ist heute noch schwieriger als in der Vergangenheit, insbesondere für Schreibende, die das Self-Publishing gewählt haben und nicht auf einen Verlag und seine Werbemittel zählen können. Es gibt nur drei Faktoren, die man beeinflussen kann, um bei den Lesern zu punkten und sich als Autor oder Autorin zu behaupten. Das ist zum einen die Qualität des Produkts, das heisst, die Originalität der Idee und die saubere Ausführung. Zweitens braucht es Werbung, es muss ein entsprechendes Budget zur Verfügung stehen und man sollte das eigene Publikum sehr gut kennen. Und drittens braucht es eine hohe Produktivität. Die Zeiten, als man alle zwei, drei Jahre publizieren konnte, sind vorbei. Jetzt muss man mindestens ein Buch pro Jahr veröffentlichen, am besten mit etwas Kürzerem wie einer Novelle dazwischen, ansonsten vergessen die Leser, dass man existiert.


Man darf jedoch nicht vergessen, dass Schreiben eine kreative Tätigkeit ist. Wenn wir alles der KI überlassen, verzichten wir auf die Möglichkeit, uns mit uns selbst auseinanderzusetzen, zu wachsen, manchmal auch, gesund zu bleiben. Ein Buch zu schreiben ist nicht einfach, aber es lohnt sich immer, egal ob man Erfolg hat oder nicht: Es ist einfach ein wunderbares Gefühl, ein eigenes Buch in den Händen zu halten.

 

Michaela Nicolosi Hüsler

Michaela Nicolosi Hüsler ist diplomierte Italienisch-Übersetzerin beim Eidgenössischen Institut für Geistiges Eigentum und freiberufliche literarische Editorin. Sie ist Dozentin für kreatives Schreiben und Storytelling an der italienischsprachigen Universität in Bern und hält Online-Kurse für Schriftsteller/innen. Sie schreibt selber Romane unter einem Pseudonym, von denen einer ein Amazon-Bestseller ist. Michaela Nicolosi Hüsler ist Speakerin und Podiumteilnehmerin am Anlass CLTR 2024 am 5. November in Basel.

 
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