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«Patentwissen ist Geld wert»

Viele KMU sind hochinnovativ, verfügen aber noch nicht über eine systematische IP-Strategie. Das sagt Alban Fischer, Leiter der Patentabteilung im Eidgenössischen Institut für Geistiges Eigentum (IGE). Ein Interview über Erfinder, Innovationsschutz und über den Wert von Patentdaten.

Gebäude des Eidgenössischen Instituts für Geistiges Eigentum in Bern. Bild: IGE
Gebäude des Eidgenössischen Instituts für Geistiges Eigentum in Bern. Bild: IGE
 

Wie gut verstehen die Schweizerinnen und Schweizer das Patentwesen, Herr Fischer?

In Branchen wie der Pharmaindustrie, aber zunehmend auch in der Hochschul-, Innovations- und Startup-Szene, wird der Schutz von Geistigem Eigentum höchst professionell gehandhabt.

 

Das Stichwort ist professionell: Was ist mit all jenen, die nicht tagtäglich mit Geistigem Eigentum zu tun haben?

Ich denke, den meisten Leuten ist grundsätzlich klar, dass griffige Schutzrechtesysteme für eine innovative, exportorientierte Volkswirtschaft wie die Schweiz von hoher Bedeutung sind. Aber die rechtlichen, wissenschaftlichen und vor allem wirtschaftlichen Aspekte des Schutzrechtesystems müssen immer wieder erklärt und begründet werden. Deshalb leisten wir viel Aufklärungsarbeit; mit begleiteten Patentrecherchen für Laien, Publikationen, Schulungen und Auftritten auf Veranstaltungen.

 

Im Kern ist das Patent ein Deal zwischen Staat und Erfinder: Rechtsschutz gegen Veröffentlichung. Warum ist die Offenlegung so wichtig?

Das Patentsystem funktioniert wie eine Waage: In der einen Schale liegt das Interesse der Erfinder am Schutz ihres Geistigen Eigentums, in der anderen Schale der Anspruch der Gesellschaft an einem möglichst transparenten Stand der Technik.

 

Wie wird dieser Anspruch begründet?

Patentinformation bildet die Voraussetzung für jede systematische Forschungs- und Entwicklungsarbeit. Denn sie verhindert, dass Ressourcen eingesetzt werden, um das gleiche Produkt oder Verfahren mehrfach zu erfinden.

 

Für konkrete Fragen betreibt das IGE unter der Nummer 031 377 77 77 ein Contact-Center. Wem erteilt es Auskunft?

Allen, die erfinderisch oder kreativ tätig sind. Unsere Fachleute beantworten Fragen rund um Patente, Marken, Design und Urheberschaft.

 

Wie oft wird gefragt, ob die unwissentliche Nutzung von fremdem Geistigem Eigentum strafbar ist?

Das kann ich nicht aus dem Stegreif sagen, aber es kommt vor.

 

Wie lautet die Antwort?

Unwissen schützt vor Strafe nicht. In IP-Sachen erfolgt die Strafe aber nie von Amtes wegen. Die Verletzung des Geistigen Eigentums Dritter ist ein Antragsdelikt. Der Rechteinhaber muss auf sie aufmerksam werden und dagegen vorgehen.

 

Das IGE beschäftigt mehr als 50 Patentexperten in den Bereichen Physik und Elektronik, Chemie, Ingenieurwesen und Life Sciences. Welche Leistungen erbringen sie für die interessierte Öffentlichkeit?

Zum einen sind sie für die Prüfung der Patentanmeldungen zuständig. Zum anderen sind sie in der Lage, aus einer praktisch beliebigen Zahl von Patentschriften Daten zu extrahieren und sie für den Kunden aufzubereiten. Zwei Begriffe spielen eine zentrale Rolle: Freedom-to-operate (FTO) und Neuigkeitsprüfung. Mit einer Neuigkeitsrecherche kann ein Erfinder verhindern, dass er in eine Erfindung investiert, die bereits einmal irgendwo auf der Welt gemacht wurde. Mit einer FTO-Abklärung stellt er sicher, dass er mit seinen Aktivitäten nicht die Rechte Dritter verletzt.

 

Das IGE unterstützt Unternehmen auch in strategischen Fragen. Was hat es  einem Manager zu bieten?

Das Zauberwort heisst Metainformation. Patentinformation ist viel mehr als die Offenlegung einer Erfindung oder eines neuartigen Verfahrens. Es enthält auch Informationen über den Besitzer des Patents, über dessen Herkunft, über die Erfinder oder das technische Gebiet der Erfindung. Betrachtet man nun nicht nur eine einzelne Patentschrift, sondern zum Beispiel das Patentportfolio einer Firma oder eines Landes, so lassen sich zusätzliche Informationen gewinnen.

 

Zum Beispiel?

Ein erfahrener Patentrechercheur kann herausfinden, auf welchen Gebieten der Inhaber eines Patents sonst noch forscht. Oder er kann der Frage nachgehen, welche Partnerschaften der Inhaber eingegangen ist. Und weil Patente immer nur in bestimmten Ländern und Regionen gelten, lässt sich sogar mit einiger Sicherheit sagen, in welchen Märkten der Patentinhaber tätig ist. Darüber hinaus lassen sich generelle Informationen über Partner und Mitbewerber gewinnen. Wir reden hier von klassischer Business Intelligence.

 

Wie aktuell sind die Informationen, die Sie liefern können?

Da wir auch Zugriff auf die veröffentlichten Anmeldedaten haben, sind sie sehr aktuell. Im Moment sehen wir zum Beispiel, dass der neue Mobilfunkstandard 5G eine enorme Forschungstätigkeit ausgelöst hat. Unsere Experten im Bereich Ingenieurwesen stellen fest, dass sich Patente rund um die Themen Internet der Dinge oder autonome Mobilität häufen. Hier in Europa, aber auch in Asien und den USA.

 

Auch einige Patentanwälte und Informationsbroker bieten Patentrecherchen an. Wie grenzen Sie sich von Ihnen ab?

Die privaten Anbieter arbeiten mit den gleichen Basisinformationen wie das IGE. Auf dem ‒ oft grenzüberschreitenden ‒ Markt für kommerzielle Recherchen sind wir unter dem Markennamen ip-search ganz normale Mitbewerber.

 

Im Gegensatz zu den Privaten nehmen Sie aber jährlich Gebühren in der Höhe von rund 50 Millionen Franken ein…

Was die Verwendung von Gebührengeldern betrifft, so unterscheidet der Gesetzgeber sehr klar zwischen den kommerziellen Dienstleistungen und dem Informationsauftrag. Unsere kommerziellen Dienstleistungen müssen kostendeckend sein; sie dürfen nicht quersubventioniert werden, was übrigens dazu führt, dass wir am Markt einer der teuersten Anbieter sind. Die Gebühreneinnahmen sind reserviert für unsere hoheitlichen Dienste für den Innovationsstandort Schweiz. Mit diesem Geld betreiben wir eine kostenlose Auskunft. Oder wir teilen unser IP-Knowhow mit Behörden, Hochschulen und andere Non-Profit-Organisationen.

 

Wie darf man sich dieses Engagement konkret vorstellen? 

An unserer Zusammenarbeit mit dem Nationalen Forschungsschwerpunkt (NFS) «Chemische Biologie» lässt sich sehr gut zeigen, worin unsere Leistung bestehen kann. Das NFS führt so genannte Bootcamps durch. Junge Forscher können in zwei eintägigen Intensivkursen herausfinden, ob sich ihre Forschungsergebnisse für eine Kommerzialisierung eignen. Einer unserer Life Sciences-Experten ist jeweils vor Ort. Er prüft bei Bedarf, welche Aspekte einer technischen Arbeit wirklich neu sind. Oder er zeigt auf, wie sich eine grundlagenwissenschaftliche Einsicht in eine Patentschrift übersetzen lässt.

 

Ein Angebot, das sich direkt an die Erfinder wendet, ist die Begleitete Recherche. Worum geht es?

Wir haben die Begleitete Recherche vor 14 Jahren eingeführt, weil wir gesehen haben, dass es für die Vermittlung von Basisinformationen keine kommerziellen Angebote gibt. Jeder Erfinder, Forscher, Startup- oder KMU-Vertreter kann hier am IGE seine Fragen zum Patentsystem stellen und mit einem unserer Experten die einschlägige Patentliteratur durchforsten.

 

Wie viele Begleitete Recherchen hat das IGE im Berichtsjahr durchgeführt?

Es sind gut 750.

 

Wie würden Sie die Antragsteller charakterisieren?

Viele arbeiten an der Schnittstelle von Hochschule und Firmengründung, im sogenannten «Innovationsökosystem». Wir können wieder beim Nationalen Forschungsschwerpunkt NFS «Chemische Biologie» anknüpfen. In einem der Bootcamps bekam der Aargauer ETH-Ingenieur Daniel Steitz einen ersten Einblick in die Qualität seines Patentportefeuilles. Später gründete er ein Startup und kam für einen Tag nach Bern.

 

Was interessierte ihn?

Er und sein Team arbeiten auf dem Gebiet der metallorganischen Gerüstverbindungen (MOF); eine neue Stoffklasse, der Experten ein enormes Potenzial voraussagen. Mein Kollege Christian Moser zeigte in einer sogenannten Umfeldanalyse unter anderem auf, wer die potentiellen Mitbewerber sind.

 

Novomof - so der Name der neuen Firma - gehörte 2017 zu den Finalisten des renommierten Swiss Technology Award (STA). Was sagt Ihnen das?

Richtig, ich sitze in der Jury des STA. Aber ich bin sicher, Novomof hätte es auch ohne meine Stimme in den Final geschafft. Die Tatsache, dass ich und meine Kollegen einem Hightech-Startup in verschiedenen Entwicklungsphasen begegnen, zeigt meines Erachtens, dass unsere gebührenfinanzierten Angebote innerhalb des Innovationsökosystems gut bekannt und geschätzt sind. Weniger gut sichtbar sind wir bei den KMU.

 

Worauf führen Sie das zurück?

Viele KMU sind zwar hochinnovativ, verfügen aber nicht über eine systematische und dokumentierte IP-Strategie. Ausserdem sind sie im Tagesgeschäft stark auf die vor- und nachgelagerten Unternehmen in der Wertschöpfungskette fokussiert. Der Helikopterblick auf den sehr oft dynamischen Stand der Technik kommt mitunter zu kurz.

 

Reicht es nicht, wenn die KMU das IGE oder einen Patentanwalt um Rat fragen, wenn sie ein konkretes IP-Problem haben?

Wer sich ‒ um ein Beispiel zu nennen ‒ erst um das Thema Schutzrechte kümmert, wenn eine Abmahnung des Mitbewerbers ins Haus flattert, hat in der Regel schon viel investiert. Dieses Geld ist unter Umständen verloren.

 

Was raten Sie in einer solchen Situation?

Eine einvernehmliche Lösung im Rahmen eines Lizenzabkommens mit dem Inhaber des fraglichen Patents ist nie ausgeschlossen. Doch eine Lizenz hat ihren Preis. Deshalb gilt grundsätzlich: Je früher im Innovationsprozess auch die rechtlichen Aspekte des IP-Schutzes mitberücksichtigt werden, desto günstiger kommt es am Ende. Patentwissen ist Geld wert. Diese Botschaft muss noch besser gehört werden.

 

Was sind Ihre Pläne?

Organisationen wie die Innovationsagentur Innosuisse, regionale und kantonale Wirtschaftsförderungen, Branchenverbände, Veranstalter von Unternehmerpreisen aber auch Investorenvereinigungen haben tagtäglich mit innovativen KMU zu tun. Mit diesen Intermediären wollen wir die Zusammenarbeit intensivieren.

 
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