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«Man konnte einen Tsunami an Anmeldungen von Dienstleistungsmarken feststellen»

Dr. iur. Magda Streuli-Youssef ist seit 1980 als Rechtsanwältin beratend und forensisch im Bereich des Immaterialgüterrechts tätig, hat in diversen Kanzleien gearbeitet, u.a. während 18 Jahren als Partnerin in einer führenden Anwaltskanzlei in Zürich. Sie war Mitglied und Vizepräsidentin der Eidgenössischen Rekurskommission für Geistiges Eigentum. Die Markenrechtsexpertin gibt Auskunft zum 30-jährigen Jubiläum des revidierten Markenschutzgesetzes (MSchG).

Frau Dr. iur. Magda Streuli-Youssef. Foto: zVg.
 

Das heutige MschG wurde am 1. April 1993 in Kraft gesetzt. Der Beschluss erfolgte am 28. August 1992. Können Sie sich noch an die politischen Diskussionen von damals erinnern? Was hat die Gesetzesänderung damals motiviert und wer hat sie initiiert?

Magda Streuli-Youssef: An die politische Diskussion von damals kann ich mich nur schwach erinnern. Den ersten Anstoss zur Revision gaben interessierte Kreise (VORORT des Schweizerischen Handels- und Industrievereins [Nachfolgerverband: Economiesuisse], Schweizerische Vereinigung für gewerblichen Rechtsschutz, welche beim BAGE (heute IGE) entsprechende Anträge stellten.

 

Welche Bedeutung hatte die Reform für die Schweiz, welche innerhalb Europas?

Das neue MSchG war für die Schweiz sozusagen ein Quantensprung von einem traditionellen Gesetz hin zu einem modernen griffigen Gesetz. Das zeigen auch die Neuerungen der Reform:

  • Einführung der Eintragungspriorität versus Gebrauchspriorität
  • Einführung der Dienstleistungsmarke und der 3D-Marke
  • Anerkennung der Exportmarke
  • Keine Prüfung der Hinterlegereigenschaft im Anmeldeverfahren
  • Neudefinition des Markengebrauchs durch den Inhaber und auch des rechtsverletzenden Gebrauchs
  • Freie Übertragbarkeit der Marke
  • Einführung des Widerspruchsverfahrens
  • Stärkung der Position und der Abwehrrechte des Markeninhabers
  • Verlängerung der Benutzungsschonfrist von 3 auf 5 Jahre
  • Verkürzung der Schutzperiode von 20 auf 10 Jahre
  • Blosse Erneuerung ohne weitere Prüfung der Marke nach 10 Jahren
  • Aufgabe der sog. Firmenmarke

Mit dieser Reform erfolgte zudem in vielen Punkten eine Angleichung an das Recht anderer europäischer Länder wie auch der EU.

 

Vor der Revision hatten Sie 13 Jahre mit dem vorherigen Gesetz gearbeitet. Wie hat sich das neue Markenschutzgesetz auf die Praxis und die Rechtsprechung ausgewirkt?

Generell kann ich sagen: Das Gesetz hat sich markant auf die Praxis ausgewirkt:

  • Die Eintragungspriorität hat wesentlich zur Erhöhung der Rechtssicherheit und in der Beratung zur besseren Prognostizierbarkeit von Entscheiden geführt. Die mit der Einführung des Eintragungsprinzips einhergehende Härte wurde im MSchG durch das Weiterbenützungsrecht nach Art. 14 MSchG gemildert. Diese erlaubt einem Dritten ein bereits vor der Hinterlegung gebrauchtes Zeichen im bisherigen Umfang zu gebrauchen. Er hat allerdings kein Abwehrrecht gegen den Inhaber der eingetragenen Marke.

  • In den ersten zwei Jahren nach Inkrafttreten des MSchG konnte man einen Tsunami an Anmeldungen von Dienstleistungsmarken feststellen, insbesondere wegen der „übergangsrechtlich“ begründeten Gebrauchspriorität von Art. 78 MSchG. Solche unter Beanspruchung der Gebrauchspriorität hinterlegten Marken unterlagen auch nicht dem Widerspruch.

  • Verlagerung der Streitfälle betreffend Verwechslungsgefahr von den ordentlichen Gerichten auf das Widerspruchsverfahren: Man kann heute etwas lapidar feststellen, dass die Frage der Verwechslungsgefahr im Markenrecht weitgehend vom IGE und vom Bundesverwaltungsgericht entschieden wird. Dafür sind Zivilprozesse vor den ordentlichen Gerichten zur Verwechslungsgefahr im Markenrecht markant zurückgegangen. Dies hat Vor- und Nachteile. Der Vorteil liegt sicher darin, dass das Bundesverwaltungsgericht inzwischen eine reiche und fundierte Praxis in Widerspruchssachen entwickeln konnte. Ein weiterer Vorteil, welcher dem Gesetzgeber vorschwebte, war, dass das Widerspruchsverfahren ein rasches und kostengünstiges Verfahren sein soll. Mit Bezug auf die erste Eigenschaft wurde dieses Ziel leider nicht erfüllt. Erfahrungsgemäss dauern die Widerspruchsverfahren zu lang, häufig sogar länger als ein ordentlicher Prozess. Hier sollte Abhilfe geschaffen werden. Ein Nachteil des Widerspruchsverfahrens liegt darin begründet, dass es ein rein registerrechtliches Verfahren ist: gewisse Argumente können im Widerspruchsverfahren nicht vorgebracht werden (wie etwa lauterkeitsrechtliche Erwägungen), welche im Zivilprozess berücksichtigt werden können.

 
 

Vielleicht eine etwas persönlichere Frage: Haben Sie die Änderungen damals gutgeheissen?

Ich habe die Änderungen durchwegs als sehr positiv empfunden, weil mit dem neuen Recht einige Unsicherheiten des alten Rechts beseitigt wurden und weil das Gesetz die Position des Markeninhabers und die Durchsetzung seiner Rechte wesentlich erleichtert hat, hier einige Beispiele:

  • Die Gebrauchspriorität konnte unter altem Recht im Prozess für den Kläger zu unerwünschten Überraschungen führen, indem er als Inhaber der älteren eingetragenen Marke gegen den Beklagten als Inhaber der jüngeren Marke sich entgegenhalten lassen musste, dass der Beklagte die Marke schon vor der Registrierung der klägerischen Marke gebraucht hat (Gebrauchspriorität). Dies führte jeweils zur Klageabweisung (vgl.  BGE 120 II 111 E.2).                                                   

  • Wegfall der Einrede älterer Drittrechte: Unter dem alten MSchG konnte der Inhaber einer angegriffenen Marke (Beklagter im Prozess) mit der sog. Einrede älterer Rechte einwenden, dass sich die Marke des Klägers nicht genügend von der älteren Marke eines Dritten unterschied. Wenn der Beklagte mit der Einrede durchdrang, wurde die Marke des Klägers für nichtig erklärt und die Klage abgewiesen (vgl. BGE 120 II 111, 90 II 43).

  • Verletzender Markengebrauch: neu jeder kennzeichnungsmässige Gebrauch: auch der Gebrauch in der Werbung, auf Geschäftspapieren, als Firma, als Enseigne oder sonst als Geschäftsbezeichnung. Unter altem Recht galt nur das Anbringen der Marke auf der Verpackung als markenverletzender Gebrauch. Der Gebrauch in der Werbung usw. konnte nur mit den Instrumenten des Bundesgesetzes gegen unlauteren Wettbewerb (UWG) abgewehrt werden.

 

Wie haben sich die Änderungen auf Ihren Arbeitsalltag ausgewirkt?

  • Im Hinterlegungsverfahren: Erleichterung infolge Wegfalls der Prüfung der Hinterlegereigenschaft. In der Beratung von Klienten: Erhöhung der Rechtssicherheit. Bessere Prognostizierbarkeit von Entscheiden. Bessere, erleichterte Durchsetzung der Rechte des Markeninhabers.

  • Widerspruchsverfahren: Dadurch, dass Auseinandersetzugen zur Verwechslungsgefahr für das gesamte Gebiet der Schweiz vorwiegend von einer Behörde und einem Gericht entschieden werden, hat dies zu einer umfangreichen Rechtsprechung geführt, welche tendenziell auch zu mehr Transparenz und Kohärenz in der Praxis geführt hat. Im Weiteren hat diese Entwicklung auch die Erarbeitung von Entscheidgrundsätzen für die Beurteilung von Widerspruchsverfahren (Prüfungsrichtlinien des IGE) erlaubt.

  • Konzentration der Streitfälle zu Markenkollisionen im Widerspruchsverfahren: Seit Einführung des Widerspruchsverfahrens habe ich festgestellt, dass vermehrt Kollisionsfälle aussergerichtlich oder ausseramtlich beigelegt werden.

  • Das ordentliche Verfahren vor den Zivilgerichten wird vor allem für besondere Fälle beansprucht wie Auseinandersetzungen um die Gleichnamigkeit, Streitigkeiten gestützt auf Abgrenzungsvereinbarungen, nicht klassische Kollisionsfälle, wie die Kollision zwischen ungleichartigen Zeichen oder Konstellationen, bei welchen auch lauterkeits- und/oder vertragsrechtliche Aspekte auch eine Rolle spielen. Das hatte den positiven Effekt, dass sich das Bundesgericht mit Themen wie die Abgrenzungsvereinbarung, die Agentenmarke und Kollisionen bei Gleichnamigkeit vertieft auseinandergesetzt hat.

 

Das Markenrecht hat sich in den letzten Jahren kontinuierlich weiterentwickelt, das heutige Gesetz hat seit seiner Inkraftsetzung 1993 einige Änderungen erfahren. Was sind Ihrer Meinung nach die wichtigsten Meilensteine?

Aus meiner Sicht sind dies die folgenden:

  • Hilfeleistung durch den Zoll
  • Vermutung des Klagerechts des ausschliesslichen Lizenznehmers
  • Swissness-Vorlage
  • Löschungsverfahren vor dem IGE
 

Sehen Sie im Hinblick auf das Markenschutzgesetz für die nähere Zukunft Verbesserungspotenzial? Was wünschen Sie sich?

Es sind im Wesentlichen Änderungen, welche zu mehr Rechtssicherheit und zur besseren Prognostizierbarkeit in der Beratung sowie im Widerspruchsverfahren zur Vermeidung einer überaus langen Verfahrensdauer beitragen können.

  • Eine klarere Regelung der Agentenmarke in dem Sinne, dass bei Wegfall der vertraglichen Beziehung vermutet wird, dass die Zustimmung des Inhabers der eingetragenen Marke entfällt.

  • Die Regelung der Frage, ob der ausschliessliche Lizenznehmer auch zur Klage auf Feststellung der Nichtigkeit einer Marke berechtigt ist. Das Klagerecht des ausschliesslichen Lizenznehmers ist gesetzlich nur für die Leistungsklage (Verletzungsklage) in Art. 55 MSchG geregelt.

  • Eine gesetzliche Regelung der Verwirkung durch eine feste Frist von fünf Jahren (wie in der EU) oder eines Zeitrahmens. Das würde die Rechtssicherheit erhöhen.  

  • Zur Beschleunigung im Widerspruchsverfahren sollte geprüft werden, ob das IGE wie in der EU oder in Schiedsgerichtsverfahren die Kompetenz erhalten sollte, zu Beginn des Widerspruchsverfahrens die im Verfahren anwendbaren Fristen für die Parteien bekannt zu geben. Bei Sistierungen könnte ähnlich wie die «cooling-off period» in der EU eine feste Frist eingeführt werden.

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