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Wenn die KI alle menschlichen Imperfektionen ausbügelt, kann auf der schöpferischen Ebene viel verlorengehen

In der Zeit, als Marc Hottinger hauptberuflich als ausübender Künstler und Komponist tätig war, spielte künstliche Intelligenz in der Musikbranche noch kaum eine Rolle und Streaming-Plattformen standen erst in ihren Anfängen. Inzwischen befindet sich die Musikindustrie an einem ganz anderen Punkt und er denkt, dass eine Transparenzpflicht für die Musikschaffenden in Zukunft wichtig sein wird. Heute arbeitet Marc Hottinger als Jurist am Eidgenössischen Institut für Geistiges Eigentum, in seiner Freizeit ist er immer noch passionierter Musiker.

Bild: IGE
 

Marc Hottinger, Sie haben die technologische Entwicklung in der Musikbranche seit über zwanzig Jahren selber miterlebt. Wie hat sich die Musikwelt durch Streaming-Plattformen und KI verändert?

Marc Hottinger: Plattformen haben es Musikerinnen und Musikern ermöglicht, auf einfache und kostengünstige Weise Werke weltweit auf den Markt zu bringen, ohne dabei auf die ursprünglichen Vertriebsnetzwerke angewiesen zu sein. Dass sich damit eine Barriere geöffnet hat und man nicht mehr auf einen Vertrag mit einem Label angewiesen ist, erachte ich als positive Entwicklung. In Punkto Sichtbarkeit und Vermarktung bleibt es jedoch sehr schwierig, auf sich aufmerksam zu machen. Die Zusammenarbeit mit gut vernetzten und einflussreichen Partnern ist in dieser Hinsicht für eine erfolgreiche Verbreitung eines Werks nach wie vor entscheidend.

 

Analysen zeigen, dass man beim Songwriting fulminant einsteigen muss, um Hörerinnen und Hörer vom Weiterklicken abzuhalten. Führen Plattformen zu Einheitsbrei in der Musik?

Die schon länger beobachtete Tendenz, dass die Lieder in der Populärmusik gewissen Schemata folgen, ist inzwischen wissenschaftlich erwiesen. Gerade die in Hitparaden erfolgreichen Songs sind beispielsweise kürzer geworden. Plattformen wie Spotify zählen ein Lied als «gehört», sobald es 30 Sekunden am Stück angehört wurde. Als Musiker oder Musikerin ist man so automatisch darauf ausgerichtet, dass das eigene Lied in dieser kurzen Zeitspanne einen Wiedererkennungswert aufweist, um möglichst viele «Plays» generieren zu können. Natürlich haben bereits die Beatles kurze Songs geschrieben. Ich denke jedoch, dass der Unterschied zu damals darin liegt, dass man sich heute viel stärker und systematisch auf genau diese Grundsätze fokussieren muss, um von den Algorithmen mit mehr Visibilität belohnt zu werden, und die Kreativität schlussendlich darunter leidet. 

 

Wenn ich weiss, dass ein Werk von einer KI geschrieben wurde, höre ich es mit anderen Ohren als eines, das von einer Künstlerin oder einem Künstler geschaffen wurde. Bei einem Menschen fliesst immer auch persönlich Erlebtes in die Musik hinein. Das Schöne an guten Songs ist, dass sie manchmal sprachlich oder musikalisch nicht perfekt sind und das auch sein dürfen. Wenn die KI jeden grammatikalischen Fehler, jede klangliche Nuance automatisch ausbügelt oder gar nicht erst entstehen lässt, kann auf der schöpferischen Ebene viel verloren gehen.

 

 

«Das Schöne an guten Songs ist, dass sie manchmal sprachlich oder musikalisch nicht perfekt sind und das auch sein dürfen.»

 

Musikplattformen bieten die Möglichkeit, unkompliziert lizenzierte Werke herunterzuladen und zu streamen. Unternehmen wie Spotify und Apple Music realisieren dadurch gigantische Umsätze. Wie sieht das Ganze auf Seite der Musikschaffenden aus

Superstars wie Taylor Swift verdienen an Plattformen wie Spotify Millionen – für sie ist es cool. Für die Schweizer Durchschnittsband ist der verbrauchte Strom für die Produktion wahrscheinlich teurer, als die Vergütung, die sie für ihre Klicks auf Spotify erhält. Als einfacher Musiker ist es sehr schwierig, ja fast unmöglich, allein über Plattformen genug Geld zu verdienen, um davon leben zu können. 

 

Manche Bands können von der Reichweite profitieren, welche die Plattformen bieten, indem sie Hörerinnen und Hörer an Live-Konzerten wieder abholen und damit Einnahmen generieren. Für unbekanntere Bands ist es jedoch seit der Pandemie schwieriger geworden, überhaupt auftreten zu können, da viele kleinere Kulturbetriebe ihre Türen schliessen mussten. Profitabel touren zu können ist zu einem Privileg von Musikern und Bands geworden, die bereits eine grössere Bekanntheit haben. 

 

Bringt es den Musikern und Musikerinnen etwas, wenn KI-generierte Werke als solche gekennzeichnet werden?

Nach geltendem Recht ist ein musikalisches Werk dann urheberrechtlich geschützt, wenn es von einem Menschen geschrieben und komponiert wurde. Einem KI-generierten Werk wird dieser Schutz nicht gewährt. Für mich stellen sich in dieser Hinsicht zwei Fragen: Wie kontrolliert man, ob das Lied einen menschlichen oder maschinellen Ursprung hat? Und wo wird die Abgrenzung zwischen «von KI generiert» und «mit Hilfe von KI geschaffen» gemacht? Ich kann zuhause komponieren und für die Songstruktur ein Schlagzeug-Intro prompten, welches für die Studioaufnahme von einer Schlagzeugerin interpretiert wird – das Stück wäre trotzdem mit Hilfe von KI geschaffen, oder nicht?
Ich bin der Meinung, dass es eine Transparenzpflicht braucht. Es kann nicht sein, dass Musikschaffende, die ihre ganze Energie in ihre Arbeit stecken, am Schluss weniger dafür bekommen, als jene, die ihre Werke mit einem Fingerschnippen durch KI kreieren lassen.

 

Marc Hottinger

Marc Hottinger ist Rechtsanwalt und arbeitet beim IGE in der Abteilung Recht und Internationales. Seit über zwanzig Jahren ist er als Komponist und Musiker tätig und war mit namhaften Schweizer Bands wie etwa Stress und Snitch als Gitarrist und Bassist unterwegs. In seiner Freizeit spielt er weiterhin in verschiedenen Bands und ist auch international unterwegs. Beim Publikumsanlass CLTR 2024 unterstützt er das Team in urheberrechtlichen Fragen.

 
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