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«Für Startups kann ein Patent überlebenswichtig sein»

Ein grenzenloser Datenspeicher auf DNA-Basis, dessen Daten Millionen von Jahren haltbar ist. Für diese Erfindung sind der Schweizer ETH-Professor Wendelin Stark und sein Österreichischer Kollege Robert N. Grass mit dem Europäischen Erfinderpreis 2021 in der Kategorie «Forschung» ausgezeichnet worden. Im Interview erzählt Wendelin Stark unter anderem, welche Rolle der Patentschutz für ihn spielt.

«DNA ist darauf spezialisiert, Informationen zu speichern»: Erfinder Wendelin Stark. Foto: ETH Zürich

Das Europäische Patentamt (EPA) hat heute den österreichischen Forscher Robert N. Grass und seinen Schweizer Kollegen Wendelin Stark mit dem Europäischen Erfinderpreis 2021 in der Kategorie Forschung  ausgezeichnet. Ihre Verkapselungstechnologie, mit der im genetischen Code gespeicherte Daten in winzigen Glaskugeln eingeschlossen werden, bietet eine neuartige Methode der Informationsspeicherung und liefert einen robusten DNA-Barcode für den Einsatz in Lieferketten. Die Erfindung ist patentiert.

 

Wie kommt man auf die Idee, synthetische DNA als Speicher für Daten zu verwenden?

Wendelin Stark: Ich bin ursprünglich Chemiker und habe dann im Maschinenbau doktoriert. Das war zurzeit der Nanotechnologie-Welle, die 2009 ihren Höhepunkt erreichte. Robert Grass und ich machten uns damals schon lange Gedanken, welche Technik als nächstes kommt. Wir kamen zum Schluss, dass es Verschmelzung von Informations- und Materialwelt geben wird. Der DNA-Speicher war also nicht von vornherein geplant. Aber das passiert eben oft so in der Wissenschaft.

 

Was macht DNA als Speichermedium so interessant?

DNA hat die mit Abstand höchste Informationsdichte und ist sehr präzise. Diese Speichermethodik ist sehr effizient. Synthetische DNA kann man zudem sehr gut maschinell herstellen. DNA ist darauf spezialisiert, Informationen zu speichern. Wir alle sind ja der beste Beweis dafür, dass diese Technik sehr gut funktioniert.

 

Die Daten werden als Nukleinsäure Sequenz gespeichert und in klitzekleine Kugeln verpackt. Die Nukleinsäuren waren zu Beginn unserer Forschung vor zehn Jahren noch sehr teuer. Für eine sichtbare Menge konnte man sich ein Familienhaus leisten. Doch wir waren überzeugt, dass der Preis aufgrund verschiedener Faktoren kontinuierlich sinken wird. So kam es dann auch. So sind wir heute für den Kauf einer sichtbaren Menge bei einem Preis für ein gutes Abendessen angelangt.

 

Hatten Sie diesen einen Heureka-Moment?

Den gab es in der Tat, als wir feststellen, dass wir, inspiriert durch Untersuchungen von Knochen und Bernstein des Historischen Museums in Bern, tatsächlich ein künstliches Fossil herstellen können. Damit war klar, dass es tatsächlich eine physisch-chemische Lösung für unsere Aufgabe gibt. Der Rest war Fleissarbeit, um diese Lösung zu etablieren. Der zweite Heureka-Moment war, als der prognostizierte Preisverfall bei der Nukleinsäure wirklich eintraf. Die Fehler, die anfangs beim Schreiben der Daten auftraten, merzten wir mit einem Algorithmus aus, der heute fast für alle Telekommunikation, also Internet oder Stabilität des Handynetzes verwendet wird.

 

Was leistet der DNA-Speicher für die Gesellschaft?

Wir stossen damit in neue Grössenordnungen des Speicherns vor – und die Daten sind bis zu einer Million Jahre haltbar. Am Anfang haben wir ein paar Dateien gespeichert und konnten das Verfahren laufend verbessern. Zuerst dachten wir nur in Speichereinheiten in Megabyte-Dimensionen. In diesem Zusammenhang fällt mir eine witzige Anekdote ein.

 

Erzählen Sie.

Rob del Naja von der britischen Musik-Band «Massive Attack» hatte von unserer Entdeckung erfahren und war begeistert. Er fragte uns, ob wir das Jubiläums-Album der Band auf DNA speichern können. Nach einigem Ausprobieren hat es geklappt, das Jubiläumsalbum war als DNA geschrieben und gespeichert. Das Album war damals das Äusserste, worüber man beim DNA-Speicher überhaupt reden konnte, alleine schon aufgrund der Kosten. Heute sind wir einige Schritte weiter.

 
 

Der Gedanke an eine beinahe endlose Datenmenge auf kleinstem Raum ist verlockend. Werden bald schon Smartphones mit DNA-Speicher hergestellt?

Nein. Der Zugriff auf die Daten ist noch nicht schnell genug, da das Lesen und Schreiben ein biochemischer Prozess ist. Dieser ist langsam und benötigt Zusatz-Hilfsmittel. Ich frage mich aber mittlerweile, ob wir immer sofort auf alle Daten zugreifen müssen. In unserer Welt existieren enorm viele Informationen, die wir selten abrufen, aber auch nicht tatsächlich löschen wollen. Ich denke zum Beispiel an Familien- und Ferienfotos.

 

Löschen Sie denn Ihre Familienfotos?

Natürlich nicht. Auf meinen neuen Computer lade ich wieder die alten Bilder hoch… Damit bin ich wohl nicht alleine. Der Vorteil der DNA-Speichermethode ist, dass es für grosse Datensätze keine grossen und teuren Rechenzentren braucht. Auf den DNA-Speicher können Sie zwar nicht jede Sekunde zugreifen und müssen länger warten, aber die Fotos vom Familienfest von vor 20 Jahren wären noch da.
Dorthin könnte die Reise gehen. Das hat auch Einfluss auf unsere Umwelt. Stichwort Server-Farmen und CO2-Ausstoss. Die Datenmengen nehmen ständig zu. Als Gesellschaft sollten wir uns fragen, wie das weitergehen soll. Wie viel Umweltschaden sind wir bereit hinzunehmen mit Suchmaschinen, Social Media etc.?

 

Ihre Erfindung ist patentiert. Welche Rolle spielt für Sie der Patentschutz?

Wir haben schon einige Erfindungen patentiert. Das Interesse dafür ist über die Jahre gewachsen. Als ich Doktorand im Maschinenbau war, war Erfindungsschutz kein Thema. Ich erinnere mich gut daran, wie ein Hersteller uns besuchte und irgendwann fragte: «Habt ihr das nicht patentiert?» Ich war ein junger Doktorand und verstand nicht, was damit gemeint war.

 

Wie ging es weiter?

Die Aussage liess mich nicht mehr los und ich setzte mich mit dem Thema auseinander. Mein Fazit: Patente sind definitiv interessant. Das Patentrecht ist auf der Seite der Erfinder. Es hat auch viel mit Eigentum zu tun. Und in der Schweiz ist sehr wichtig, wem was gehört. Das gleiche gilt für Erfindungen. Das hat mich fasziniert. In der Nanopartikelwelt habe ich während meiner Doktorarbeit festgestellt, dass Patente eine nützliche Sache sind. Ich hatte ein Patent auf die Herstellung von Nanopartikeln. Wir patentieren viel an der ETH, manchmal sprengt es sogar ein wenig das Budget.

 

Sie kommen auch mit ETH-Startups in Kontakt. Wie wichtig ist dort das Patent?

Bei den Tech Spin-offs ist das Patentieren ein Tagesthema. Hier geht nichts ohne Patentschutz. Als Startup kann ein Patent im Wettbewerb mit den Grossen überlebenswichtig sein. Ich sage meinen Studenten immer wieder: mit einem Patent habt ihr einen Flankenschutz. Natürlich ist das Verfahren bis zur Erteilung nicht ganz trivial. Man muss sich damit auseinandersetzen. Dafür gibt es auch spezialisierte Anwälte. Ich habe bei einigen meiner Patente dann auch Anfechtungen erlebt.

 

Patente können auch eine wertvolle Informationsquelle sein. Nutzen Sie diese als Forscher?

Ja. Patentschriften enthalten wertvolle Informationen. Diese Daten sind in den vergangenen Jahren noch wichtiger geworden.

 

Weshalb?

Wissenschaftliche Publikationen erlebten in den letzten zehn Jahren eine gewaltige Inflation. Dasselbe Thema wurde mehrfach in leicht veränderter Form publiziert inklusive unzähliger Referenzen. Es war nicht immer klar, wie gut die Daten und wie belastbar diese sind. Es gibt keine übergeordnete Instanz, die ein Auge darauf hat. Beim Patentrecht hingegen ist entscheidend, dass die Erfindung auch funktioniert. Zudem ist das Schutzrecht der Beweis, dass man der Erste war. Die in der Patentschrift beschriebenen Daten haben Hand und Fuss. Das ignoriert man leider nach wie vor in der Wissenschaft. Bei den Ingenieuren ist es anders. Ich stufe die Datenzuverlässigkeit in Patentschriften inzwischen höher ein als in der modernen wissenschaftlichen Literatur.

 

Wie nutzen Sie Ihre Patent?

Die Erfindung gehört zuerst einmal meinem Arbeitgeber. Die ETH verwaltet das Patent und vergibt Lizenzen. ETH Spin-offs vergeben u.U. wieder Unterlizenzen.

 

Wie geht es für Sie weiter?

Wir haben aus dem Arbeitskreis bereits mehrere Firmen gegründet, sogenannte ETH Spin-offs. Ich bin sehr aktiv bei der Vorbereitung und Themenwahl.  Bei der eigentlichen Erfindung kommen im Rahmen der Umsetzung die Mitarbeitenden und Studenten zunehmend in eine Führungsposition. Nach der Gründung der Firma übernehmen sie das Ruder. Ich spiele hier nur noch eine bescheidene Rolle. Und das ist gut so. Die Kapitänsfunktion sollen die jüngeren Mitgründerinnen und Mitgründer wahrnehmen.

 

Ist für Sie das Thema DNA-Speicher abgeschlossen?

Nein. Das Potenzial des DNA-Speichers ist noch lange nicht ausgeschöpft. Wir arbeiten daran, dass diese klitzekleine DNA-Informationskugel auch fälschungssicher auf Waren angebracht wird, um die genaue Herkunft eines Produkts verfolgen zu können – zum Beispiel von einer Plantage in Südamerika bis zu uns in den Supermarkt. Man könnte so viele Angaben hinterlassen, dass der Bauer am anderen Ende der Welt uns plötzlich so nahe ist wie beim Biobauer in unserer Umgebung. Und wir können sicher sein, dass er für seine Arbeit fair bezahlt wird.

 

Das Patent des DNA-Speichers: EP2831268

 

Hinweis: Beschäftigen Sie sich mit einer Idee oder Erfindung und fragen sich, ob sie sich patentieren lässt? Finden Sie es mit einer Begleiteten Patentrecherche des IGE heraus: https://bit.ly/2Y6Iwqy

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