Ursula Siegfried studierte Internationale Beziehungen in Genf und London und arbeitete anschliessend in Genf bei verschiedenen Organisationen in den Bereichen Minenräumung und Menschenrechte. Nachdem sie während einiger Zeit beim EDA für südamerikanische Länder zuständig war, wechselte sie vor elf Jahren ans IGE, wo sie seit fünf Jahren für bilaterale Beziehungen und für Freihandelsabkommen verantwortlich ist. Sie hat für die Schweiz die IP-Kapitel in den Freihandelsabkommen mit Chile, Kosovo und Thailand verhandelt.
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Beim Handelsabkommen mit Indien spielen die Rechte am Geistigen Eigentum eine wichtige Rolle
Am 20. März genehmigte auch der Nationalrat das Freihandelshabkommen mit Indien, welches Bundesrat Guy Parmelin Vor einem Jahr unterzeichnet hatte. Nach 16 Jahren einigten sich die Schweiz und Indien im März 2024 auf ein umfassendes Handelsabkommen. Die Schweiz war bei den Verhandlungen, die im Verbund mit den anderen EFTA-Staaten Norwegen, Island und Liechtenstein geführt wurden, federführend. Für die Verhandlungen rund um die Rechte am Geistigen Eigentum war Ursula Siegfried vom IGE verantwortlich.

Wie wichtig war das Thema Geistiges Eigentum bei den Verhandlungen mit Indien?
Ursula Siegfried: Die Schweizer Wirtschaft ist stark exportorientiert und das Freihandelsabkommen mit Indien ist deshalb von grosser Bedeutung für unser Land. Der Schutz des Geistigen Eigentums war einer der grössten Knackpunkte in den Verhandlungen. Die Branchen, welche IP-Rechte (Intellectual Property Rights) intensiv nutzen, tragen gut 60 Prozent zum Bruttoinlandprodukt der Schweiz bei. Deshalb war und ist der Schutz des Geistigen Eigentums von zentralem Interesse für unser Land. Es war darum klar, dass wir in diesem Bereich ein möglichst gutes Verhandlungsresultat erreichen wollten. Das ist uns aus meiner Sicht auch gelungen.
Konkret möchte ich drei Resultate hervorheben: Bei den Patenten stellt das Abkommen sicher, dass patentgeschützte Exportgüter gegenüber den in Indien hergestellten Produkten nicht diskriminiert werden. Zudem werden Verfahren vereinfacht und verkürzt, zum Beispiel das Widerspruchverfahren oder die obligatorischen Berichterstattungsverfahren, die es in Indien gibt. Zweitens verbessert das Abkommen auch den Schutz der Swissness in Markenanmeldungen, was für viele Branchen wichtig ist. Ich denke da insbesondere an Uhren, Nahrungsmittel oder Kosmetika. Der dritte Punkt sind die geografischen Angaben. Hier können die Produzenten unter dem Freihandelsabkommen einen besseren Schutz verlangen. Das ist eine Chance für Erzeugnisse wie Käse oder auch für nicht-landwirtschaftliche Produkte.
Wir haben in den Verhandlungen zum Thema Geistiges Eigentum einiges erreicht und können mit dem Resultat zufrieden sein. Es gibt durchaus noch Bereiche, in welchen wir weitere Verbesserungen anstreben, so zum Beispiel bei den Patentierungskriterien und beim Unterlagenschutz. Deshalb wollen wir den Dialog mit Indien auch in Zukunft weiterführen.
Das SECO hatte den Lead bei den Verhandlungen – Welche Rolle spielte das IGE?
Das IGE hat den Auftrag, die Schweizer Interessen im Bereich des Geistigen Eigentums international zu vertreten. So auch bei Verhandlungen zu Freihandelsabkommen. Das SECO (Staatssekretariat für Wirtschaft) hat die Gesamtleitung inne und führt die Verhandlungen zu den anderen Themen im Abkommen. Meine Rolle war es, direkt mit den indischen Partnern zu verhandeln. Die Verhandlungsrunden fanden viermal in Indien statt und einmal in Genf. Dazwischen gab es unzählige Videokonferenzen mit der indischen Delegation und zahlreiche Telefongespräche mit dem indischen Verhandlungsführer zu IP.
Hinter den Kulissen haben jeweils auch Kolleginnen und Kollegen des IGE mitgearbeitet, sei es bei den Vorbereitungen, sei es im direkten Kontakt mit mir, während ich vor Ort am Verhandlungstisch sass. In der Schlussphase wurde es auch sehr hektisch. Einen Kollegen musste ich am Wochenende mit SMS und Chatnachrichten behelligen. Er liess dann alles stehen und liegen, um verschiedene Textpassagen zu prüfen und Vorschläge zu machen. So konnten wir die Verhandlungen zu diesem Punkt gerade noch knapp abschliessen, bevor der Abend in Indien zu Ende war.
Was sind die wichtigsten Faktoren für einen erfolgreichen Abschluss?
Man sagt, dass eine gute Vorbereitung 95 Prozent des Verhandlungserfolgs ausmacht. Im Prozess mit Indien hatten wir jedoch sehr wenig Zeit für Vorbereitungen, denn der Zeitdruck war gross. Zudem lagen die Positionen zum Teil weit auseinander. Da waren kreative Lösungen gefragt. Und Beharrlichkeit. Man muss gut zuhören können und verstehen, was der andere will – und vor allem auch warum. Und dann gilt es zu argumentieren, argumentieren und nochmals argumentieren. In der Schlussphase der Verhandlungen, als es um die letzten ungelösten Fragen ging, liefen die Drähte heiss. In dieser Zeit war ich fast konstant per Telefon oder Textnachrichten im Kontakt mit dem Schweizer Chefverhandler. Das positive Resultat, das wir erzielten, kann man auf die sehr gute Zusammenarbeit aller Beteiligten zurückführen, sowohl intern beim IGE als auch mit dem Seco. Der grosse Einsatz und die Beharrlichkeit von Schweizer Seite haben sicher wesentlich zum Verhandlungsabschluss beigetragen.
Der Aufbau von zwischenmenschlichem Vertrauen ist ebenfalls ein zentraler Faktor für den Verhandlungserfolg. Ich habe regelmässig mit meinem indischen Kollegen Spaziergänge im Park des Handelsministeriums unternommen oder bei einer Kaffeepause zu zweit weiterdiskutiert. So konnten wir nicht nur inhaltliche Probleme weiter erörtern, sondern uns auch persönlich besser kennenlernen und eine vertrauensvolle Beziehung aufbauen. Das half uns dabei, die inhaltlichen Differenzen zu überwinden, weil wir so besser verstanden, was das Gegenüber wollte und warum, und wo es Raum für Kompromisse gab. Das gegenseitige Vertrauen und der beidseitige Wille, auf Lösungen hinzuarbeiten und dafür auch die Extrameile zu gehen, trugen dann viel zum positiven Ergebnis bei. Wenn man auf solche Weise gemeinsam an Lösungen arbeiten kann, macht diese Arbeit wirklich Freude.